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Auszug aus S.O.Bs.

 

Jud - Eine Liebe in Deutschland

 

TV-Serie

von

Alfred Zeisel

© Alfred R. Zeisel

 

Synopsis

1939. Berthold und Lisa Kainz sind ein glückliches junges Paar. Sie sind gerade mal ein paar Tage in Ostia bei Rom, wo sie ihre Flitterwochen verbringen wollen, da beginnt der Krieg mit Polen. Als treuer Deutscher bricht Berthold – gegen Lisas Willen - die Flitterwochen ab, um seinen Beitrag im Kampf gegen die Feinde Deutschlands zu leisten...

Zurück in München steht die Ehe auch weiterhin unter einem ungünstigen Stern, denn als angehender leitender Angestellter einer Metallfabrik hat Berthold fast keine Zeit mehr für Lisa.

Mitten in ihre Eheprobleme platzt Thomas, ein alter Schulfreund Bertholds, der sie um Hilfe bittet: Er ist nämlich Jude. Trotz vieler Bedenken und Vorbehalte verstecken sie ihn vorläufig im Keller, was jedoch nicht unbemerkt bleibt.

In den nächsten Wochen verlieben sich Thomas und Lisa...

Die SS und auch die Flugabwehr interessieren sich inzwischen für Bertholds neuartige Ablauf- und Regelungstheorie, kann man doch damit sowohl große Menschenmassen befördern als auch die Flugbahnen von Flugzeugen vorausberechnen. Berthold hat eine große Karriere vor sich.

Als Berthold und Lisa von der Gestapo erfahren, dass Thomas wegen Mordes gesucht wird, haben sie ein Problem.

Doch dies ist erst der Beginn einer Kette von schier unlösbaren Problemen, die noch auf Berthold und Lisa zukommen. Schließlich muss Berthold sogar seinen Posten aufgeben und untertauchen, und Lisa kommt in ein KZ...

Weitere Episoden beleuchten das Leben als Untergrundkämpfer in München; den Gestapo-Apparat und seine Verhörmethoden; das Überleben in Konzentrationslagern; schließlich in den letzten Episoden den gescheiterten Münchner Putsch knapp vor Kriegsende; die misslungene Besetzung des Radiosenders Freimann und die nachfolgenden Hinrichtungen von Untergrundkämpfern; die Tribunale gegen Nazis, darunter auch Berthold. Die Anklagepunkte: Verschwörung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit... 

10 Episoden


Auszug aus der Novelizierung:

Teil Eins

1. Kapitel

1946

Ein warmer Sommertag. Polen. Danzig. Stolzenberg. Später Nachmittag. Eine große Menschenmenge hat sich gebildet, über der ein Schleier des Todes hängt, durch den die Sonne mit letzter Kraft hindurchdringt. Sie wirft schon längere Schatten. Es sind Schatten des Grauens, es sind die verzerrten Schatten von Galgen. Von jenen Galgen, an denen gleich die Todesurteile vollstreckt werden. Genauer genommen, die restlichen fünf, denn an den linken schwingen schon sechs Männer. Es sind Dreifachgalgen und vier Zweifachgalgen, drei davon sind noch ‚leer‘, mit herunterhängenden dünnen Seilen mit Schlingen. Die Lastwagen vor den linken Galgen mit den schwingenden Körpern fahren weg, Staub aufwirbelnd, fünf weitere Lastwagen mit heruntergeklappten Rückenwänden fahren zu den leeren Zweifachgalgen, ebenfalls Staub aufwirbelnd. Es hat schon länger nicht mehr geregnet. Der Staub verstärkt durch seine Trübung der Luft die symbolische Kraft des über dem flachen Hügel hängenden Todesschleiers. Auf den Lastwagen sind jeweils zwei Soldaten in schlechtsitzenden Uniformen, die die Todeskandidatinnen fest im Griff haben. Erst wurden die Kapos gehenkt, jetzt werden die grausamen KZ-Wärterinnen gerichtet. Ihr Blick irrt von den schwingenden Körpern rechts zu den Galgen vor ihnen. Neben ihnen steht jeweils ein Mann in KZ-Kleidung. Nur auf dem letzten Lastwagen steht eine Frau in KZ-Kleidung. Mit Mühe kann sie sich an der seitlichen Bordwand festhalten, denn der Fahrer stoppt den Wagen abrupt. Er hat die Entfernung zum Galgen falsch eingeschätzt, denn alle Wagen halten fast unter den Galgen, vielleicht einen Meter davon entfernt. Ein Pfarrer mit einer abgegriffenen Bibel in der Hand löst sich aus einer Gruppe von Soldaten, er geht von Wagen zu Wagen, meist folgen kurze Gespräche mit den Delinquentinnen. Eine Todeskandidatin bekommt einen Weinkrampf, eine andere darf sich auf einen Stuhl setzen. Fast könnte man Mitleid mit diesen Frauen haben, denn sie wirken verstört, ängstlich, kraftlos, nichts mehr von ihrer überheblichen Art als KZ-Aufseherinnen ist an ihnen zu entdecken. Ihre Henker sind ehemalige KZ-Häftlinge in diesen ausgewaschenen KZ-Insassen-Bekleidungen, diesmal gewaschen und nicht übelriechend wie im KZ. Uns interessiert nur die Frau. Sie hat offensichtlich viel gelitten durch die Frau neben ihr, der sie in die Augen blickt. Sie erhofft eine Erfüllung ihres Rachegefühls. Doch sie empfindet nichts. Wie sehr hat sie sich doch diesen Tag herbei gewünscht, um dieses Rachegefühl voll auszukosten. Bei der Gerichtsverhandlung hat sie es als Zeugin noch intensiv empfunden, jetzt ist sie unfähig zu solchen Gefühlen. Wieso? Diese Frau ist Lisa Kainz, eine trotz der KZ-Kleidung sehr hübsch wirkende Frau. Man mag diese Frau auf Anhieb. Inmitten der extrem drückenden Umgebung des Todes strömt sie eine intensive und reife Weiblichkeit aus. Die kleinen Falten in den Mundwinkeln zeugen von intensiven negativen Erlebnissen. Später werden wir sie noch genauer kennen lernen.

Die erste Frau wird von der Laderampe gestoßen, sie schwingt, leicht zuckend. Die Delinquentin neben Lisa hat dies mitbekommen und zuckt zusammen, ihr Atem stockt kurz. Ihr Blick fällt auf die noch schwingenden gehenkten Männer ganz rechts von ihr, ein erneuter leichter Schock, den Lisa spürt, da sie jetzt die Verurteilte fest an einem Arm hält. Schließlich schwingen alle Kriegsverbrecherinnen an den Galgen, bis auf jene neben Lisa. Ein Soldat gibt ihr einen ungeduldigen Wink, endlich die Frau vom Wagen zu stoßen. Sie war auserkoren, als letzte zu hängen, um besonders durch den Anblick der zuckenden und schwingenden Gehenkten zu leiden, da ihr die schwersten Kriegsverbrechen angelastet werden. Lisa lässt sich vom Soldaten drängen, sie fasst die Frau auch am anderen Arm und stößt sie von der Ladefläche. Sie hatte vorgehabt, dies so bewusst wie möglich zu tun, aber zu viel wurde sie abgelenkt, der Blick der Todeskandidatin, der Befehlston der polnischen Soldaten, die schwingenden Gehenkten. Und so sieht sie jetzt nur in die offenen, leeren Augen der Gehenkten, die sich um die eigene Achse dreht. Lisa fühlt nichts, nicht einmal ein Gefühl der Befreiung, ihre größte Feindin getötet zu haben, kein befriedigendes Gefühl jedweder Art. Nur eine unangenehme Leere, so unangenehm, dass sie sich von den Gehenkten abwendet. Der polnische Soldat, der sich an dem Todeskampf der Hingerichteten gar nicht genug hat satt sehen kann, lacht, den Kopf schüttelnd. Soviel er von seinem Vorgesetzten weiß, hat diese deutsche Frau darum gebeten, ihre Peinigerin töten zu dürfen. Man hat ihr den Wunsch gewährt. Jetzt sieht sie weg. Während er sich an der langsam zur Ruhe kommenden Hängenden erneut ergötzt, denkt er: Verstehe doch einer die Frauen! Vor allem die Deutschen!


2. Kapitel

1948

Berthold Kainz wacht mit einem Schock auf. Dann registriert er langsam seine Umgebung: eine graue Zelle, Wände mit Kratzern. Geweckt hat ihn das harte metallische Geräusch des Öffnens und Schließens der Gucklöcher und der Klappen in den beiden Zellentüren neben der seinen. Auch bei seiner Zellentür öffnet die Wache das Guckloch, schließt es, dann kippt sie die Klappe für die Essensausgabe, schiebt das Frühstück durch die Öffnung seiner Zellentür. Wie immer eine Scheibe frisches Brot aus einer Nürnberger Bäckerei, Butter und Marmelade, und frischer guter Bohnenkaffee. Ob alle Gefängnisinsassen diesen guten Kaffee bekommen, oder nur er, weiß er nicht. Der Kaffee muss von den Amerikanern kommen, denn in Deutschland gibt es mit Sicherheit keinen Bohnenkaffee, höchstens diesen Kaffeeersatz aus gerösteter Gerste. Der US-Soldat lächelt ihm ein wenig zu. Ob es Empathie ist, Mitleid oder gar Sympathie, kann Berthold nicht feststellen. Dabei hat er in den letzten Jahren sehr wohl gelernt, die Emotionen, selbst die unterdrückten, bei anderen zu erkennen, aber heute kann er es nicht. Denn heute ist er emotional ziemlich abgelenkt, heute könnte er nämlich zum Tode verurteilt werden. Was für ein Tagesbeginn! Er spürt ein leichtes Bauchweh, während er abwesend sein Brot mit Butter bestreicht, mit echter Butter, nicht mit dieser ekelig schmeckenden Margarine, die es zuletzt in Deutschland gab, die Marmelade ist wohl von den Engländern, eine Orangenmarmelade. Er mag sie nicht sonderlich, hat sich aber an ihren leicht bitteren Geschmack gewöhnt. Während er abwesend sein Frühstück zu sich nimmt, überlegt er den heutigen Tag. Heute kommt das Plädoyer des Chefanklägers, des Attorney Generals, eines für ihn, das muss er trotz des Ernstes seiner Lage eingestehen, ehrlich wirkenden Colonels, dem die Wahrheit mehr wert zu sein scheint als ein unfairer Prozessgewinn. Trotzdem überwältigt Berthold eine gewaltige Angst, denn sein Strafverteidiger scheint diesem Chefankläger nicht gewachsen zu sein. Er hat bisher keine seiner Anklagepunkte entkräften können, also weder, dass Berthold Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerwiegende Kriegsverbrechen begangen haben soll, noch dass er der Verschwörung schuldig sei. Vielleicht hält sein zweiter Strafverteidiger das abschließende Plädoyer. Der ist zwar noch sehr jung, aber in seiner Rhetorik und vor allem in vielen seiner Argumentationen bisher viel gewandter gewesen als sein Pflichtverteidiger. Abwesend blättert er durch Franz Werfels Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh, den ihm einer der gut gesinnten US-Unteroffiziere als Leselektüre hat zukommen lassen – darin geht es um den Genozid der Türken an einer Million Armeniern. Ob das eine freundliche Geste war oder ein Hinweis auf seine Lage, hat er damals nicht beurteilen können. Franz Werfels Romane waren in der Nazizeit verboten, ganz besonders dieser Roman.

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